Das Bergschuh-Handwerk ruht im Museum

Die Schuhmacherei Burgener fertigte während drei Generationen Bergschuhe nach Mass an. Deren Werkzeuge und Utensilien sind im Matterhorn Museum zu sehen. Der Zermatter Otto Burgener hat sie dem Museum als Leihgabe übergeben. Zum 10-Jahr-Jubiläum des Museums geht die Hommage an ihn, den letzten grossen Könner der Schuhmacherzunft von Zermatt.

Otto Burgener sitzt im Schuhmacherhäuschen im Museum. Seine Augen blitzen vor Eifer, wenn er von seinem Handwerk erzählt. "Während 75 Jahren habe ich Bergschuhe angefertigt", sagt er und weist auf die Schuhmodelle, die im Schuhmacherhäuschen ausgestellt sind. Er nimmt einen Bergschuh aus dem Jahr 1954 in die Hand und dreht ihn, um die verschiedenartigen Nägel an den Schuhsohlen zu erklären: "Die Tricuni waren früher das Beste für im Eis", sagt er fachmännisch. Das wusste beispielsweise auch der legendäre Bergführer Ulrich Inderbinen (1900 – 2004). Er ging sein langes Leben lang nur mit Burgener-Bergschuhen in die Berge. "Dann gibt es aber auch Hammernägel, Mäuseköpfe und Mugger", sagt Otto Burgener. Wer im Museum die handgemachten Bergschuhe genau betrachtet, entdeckt neben den Nägeln auch kleine helle Punkte: "Das sind die Holznägel, Tubla genannt, die die Sohlenschichten zusammenhalten", erklärt der Schuhmachermeister.

Die mit Metallnägeln versehenen Bergschuhe bekamen ab dem Jahr 1939 – das weiss Otto Burgener noch ganz genau – von der Vibram-Sohle Konkurrenz: "Wir mussten uns immer den neuesten Trends anpassen", schaut er zurück. Die Bergführer von Zermatt waren den Gummisohlen gegenüber aber recht skeptisch. Sicherheit geht schliesslich vor, und ein Ausrutscher in den Bergen kann den Tod bedeuten. Das weiss man in Zermatt seit der Erstbesteigung des Matterhorns. Zudem sind die Materialien unterschiedlich gut auf unterschiedlicher Unterlage: "Wenn Bergführer aus Chamonix Bergschuhe wollten, wurden die Sohlen mit anderen Nägeln bestückt. Denn Chamonix hat anderen Fels als Zermatt", erklärt Otto Burgener.

Bergschuhe für die Sicherheit

Was im 19. Jahrhundert als bescheidene Schuhwerkstatt anfing, war in Zermatt während drei Generationen eine Institution. Alois Burgener hat im Jahr 1879 in Zermatt in seiner Werkstatt die ersten Bergschuhe angefertigt. Dies war wenige Jahre nach der Erstbesteigung des Matterhorns im Jahr 1865. Die Gäste strömten aus aller Welt ins Matterhorndorf, um auf die Berge zu steigen. Im Gegensatz zu den abgestürzten Begleitern des Briten Edward Whymper wollten die nachfolgenden Matterhornbezwinger nicht in nagellosen Strassenschuhen auf die Viertausender klettern. Im Museum sind je ein Schuh von Lord Francis Douglas und Reverend Hudson zu sehen. Sie fanden kurz nach dem Triumpf auf dem Matterhorngipfel beim Abstieg den Tod. Grund des Unglücks, das vier Tote verursachte: der Unerfahrenste ist ausgerutscht.

Im Jahr 1940 fertigte die Burgener-Dynastie die ersten paar Skischuhe. Später kamen mit Lammfell gefütterte Après-Skischuhe hinzu. Zu den Kunden für Berg- und Skischuhe zählten nebst den Zermatter Bergführern viele Prominente aus der Schweiz, aber auch aus den USA, aus China, Russland oder England. "Manche Kunden liessen es sich nicht nehmen, und reisten für die Anprobe oder fürs Abholen ihrer Schuhe eigens nach Zermatt an, auch aus den USA oder aus England." Ein paar auf Mass angefertigte Bergschuhe kosteten in den 50er Jahren 45 Franken. Es brauchte dafür vier Arbeitstage.

Die Schuhwerkstatt: letzte Station Museum

Otto Burgener führte die Schuhmacherei während Jahrzehnten in dritter Generation. Sein Vorfahre Alois Burgener (1858-1939) kam 1879 vom 15 km entfernten St. Niklaus nach Zermatt und begann Schuhe und Bergschuhe anzufertigen. Er war in seinem Handwerk so gut, dass Ende des 19. Jahrhunderts fast alle Walliser Bergführer und grossen Alpinisten Burgener Bergschuhe trugen. Wo er das Handwerk gelernt hat, ist unbekannt. Seine Söhne standen in seine beruflichen Fussstapfen, und das Wissen und Können wurde weitergegeben.

Heute ist aus dem alten Schuhhaus Burgener ein Schuh- und Sportgeschäft geworden. Nur eine Plakette am Haus erinnert an früher. Die Schuhmacherei ist seit dem Jahr 1998 geschlossen. Aber die Nachfrage blieb. So fertigte Otto Burgener in seiner Werkstatt bis 2012 auf Bestellung und nach Mass weiter Bergschuhe an. Sie bedeuteten aber noch immer vier Tage Arbeit.

Die Schuhmacherwerkstatt in Matterhorn Museum Zermatlantis ist nun eine Museums-Leihgabe von Otto Burgener. Hier steht der Werktisch, der sein Grossvater Alois benutzt hatte. Hier können seine Schuhmodelle in die Hand genommen werden. Hier liegen Nägel, Tricuni, Tubla und Schuhmacherhammer. Sie sind Zeugen von einem vergangenen Handwerk. 

Die Schuhmacher-Dynastie Burgener

Alois Burgener 1858 bis 1939 Schuhmachermeister, Zermatt
Gründer Schuhhaus Burgener 1879
Alexander Burgener 1895 bis 1962 Schuhmachermeister
Otto Burgener 1929 Schuhmachermeister. Arbeitete bis 2012. 
Akkordeonist, Komponist, Glockenspieler.
Ehemaliger Leiter der Dorfmusik und der Bergführer-Musik.

Seiler-Sammlung als Museums-Grundpfeiler

Das Matterhorn Museum Zermatlantis geht auf die private Sammlung der Hoteliers-Familie Seiler zurück. Die Mitglieder der Familie Seiler hatten im 19. Jahrhundert die ersten Objekte gesammelt. Unter anderem Überbleibsel von der Matterhorn Erstbesteigung. 1904 wurde das erste Museum gegründet. 1958 Eröffnung des Alpinen Museums im Seilergarten. Es entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte zum bestbesuchten Ortsmuseum im Wallis. Doch mit der Zeit konnte dieses Museum den Bedürfnissen der Gäste nicht mehr gerecht werden. Viele Zermatter setzten sich für ein neues Museum ein, unter anderem Ivo Biner und Willy Hofstetter. Schliesslich konnte am 18. Dezember 2006 das neue Museum eingeweiht werden. Heute ist das Matterhorn Museum Zermatlantis nach wie vor das Ortsmuseum im Kanton Wallis, das mit jährlich über 40‘000 Besuchern die meisten Eintritte verzeichnet.